YNWA-Blog #4

„Hereinspaziert!“ – ins alte Wien (1)

Nachdem „Liliom“ beim Budapester Publikum wenig Anklang fand, verhalf dem Theaterstück die deutsche Bearbeitung von Alfred Polgar zum weltweiten Durchbruch – und zwar in der Donaumetropole Wien, der nächsten Station unserer Reise durch die Kulturgeschichte des Liedes „You’ll never walk alone“.

Um die Jahrhundertwende war Wien als eine der beiden Metropolen Österreich-Ungarns eins der kulturellen und politischen Zentren Europas. Die Blütezeit von Philosophie, Architektur, Literatur, Musik und Malerei ging als „Wiener Moderne“ in die Geschichte ein. Das Wiener Burgtheater ist unser erster Halt in der österreichischen Hauptstadt: eine der bedeutendsten Bühnen Europas und – nach der Comédie Française in Paris – das zweitälteste europäische Sprechtheater. An der umtriebigen Wiener Ringstraße gegenüber dem Rathaus thront der prachtvolle Bau im Stil der Neorenaissance. Die an der Außenwand angeschlagenen Plakate verraten, dass dort derzeit die Inszenierung von Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“ zu sehen ist, die im Mai Premiere bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen feierte – die von Evonik übrigens seit vielen Jahren als Hauptsponsor unterstützt werden. Mit auf den Plakaten zu sehen: die bezaubernde Mavie Hörbiger, die uns leider für den heutigen Drehtag absagen musste.

Für heute stehen daher nur Außenaufnahmen vor dem Burgtheater auf dem Drehplan: Joachim Król fährt mit einer historischen Straßenbahn vor, steigt aus und geht hinein in den Prachtbau. Klingt einfacher als es ist, denn der Verkehr fließt weiter. Zwischen die historischen Nahverkehrsfahrzeuge mischen sich immer mal wieder moderne Bahnen, und eine Linie biegt gar kurz vor dem Burgtheater links ab Richtung Rathaus. Nach einigen missglückten Versuchen ist die Szene aber im Kasten. Im Café Landtmann neben dem Burgtheater ist Zeit für eine kleine Mittagspause. Das typische Wiener Kaffeehaus, das 1873 eröffnete, war schon zur Zeit Polgars Treffpunkt zahlreicher prominenter Schauspieler, Künstler und Schriftsteller. Auch Gustav Mahler, Gary Cooper, Marlene Dietrich und Romy Schneider sollen zu den berühmten Gästen gehört haben.

Die Inszenierung von „Liliom“ im Burgtheater in den 1930er Jahren legte später den Grundstein für den Welterfolg des heute noch gespielten Stücks. Die tragische Liebesgeschichte handelt von Liliom, Ausrufer beim Karussell (auf österreichisch auch „Ringelspiel“ genannt) der Frau Muskat, und dem Dienstmädchen Julie. Julie und Liliom verlieben sich ineinander und setzen so ihre berufliches Angestelltenverhältnis aufs Spiel. Als Julie schwanger wird, geraten die beiden in Existenznot. Der angehende Vater lässt sich zu einem Raubüberfall verleiten und wählt auf der Flucht vor der Polizei den Freitod. Nach sechzehn Jahren Fegefeuer bekommt er eine zweite Chance: Er erhält die Erlaubnis, für einen Tag auf die Welt zurückzukehren und Abbitte zu leisten. Der österreichische Schriftsteller und Theaterkritiker Alfred Polgar übertrug diesen Stoff ins Deutsche und verhalf „Liliom“ so 1913 zu einem großen Erfolg im Theater in der Josefstadt. Polgar verlagerte dabei die Szenerie vom Budapester Stadtwäldchen zum Wiener Prater. Dieser feiert in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag und ist unser nächstes Ziel. Dort hin geht’s für Joachim Król und Regisseur André Schäfer selbstverständlich mit einer historischen Straßenbahn. Mehr dazu bald wieder hier.