Pressemitteilung
Standort Lülsdorf
15. Mai 2013

Teil 4: Das Werk Lülsdorf im Ersten Weltkrieg

Als im Frühjahr 1914 die Elektrolyse ihren Betrieb aufnahm (Teil 3 unserer Serie) und mit der RWE zum Preis von 1,2 Pfennig/Kilowattstunde ein Stromlieferungsvertrag von 50 Jahren Dauer abgeschlossen worden war, brach nur wenige Monate später der Erste Weltkrieg aus. Die Produktion konnte zunächst weiterlaufen. Der in Lülsdorf erzeugte Wasserstoff wurde dabei von der Reichswehr für militärische Zwecke angefordert.

Anfang November mussten im Werk Lülsdorf die ersten 100 Kriegsgefangenen ihre Arbeit verrichten. Der durch den Krieg verursachte Arbeitskräftemangel sollte damit kompensiert werden. Es waren vor allem russische, später auch italienische Kriegsgefangene, die in dem gerade fertig gewordenen Haus in der Deutz-Mondorfer-Straße Nr. 19/21 untergebracht wurden. Das Wohnhaus wurde von der Militärkommandantur Wahn mit einem Stacheldrahtzaun umgeben. Der damalige Elektromeister Josef Winter, selbst inzwischen Koloniebewohner, berichtet, dass er für die Kriegsgefangenen an Sonntagnachmittagen im Aufenthaltsraum von der Kommandantur entliehenen Filme vorgeführt habe. Damit wollte man den Kriegsgefangenen eine Abwechslung zum sonst eher tristen Alltag bieten.

Im Februar 1915 ging die Chlorverflüssigung in Betrieb. Die Chlorat-Fabrik konnte ab Juli produzieren. An Kalium-Chlorat war damals besonders das Militär interessiert, da es ein wesentlicher Bestandteil herkömmlicher Sprengmittel war. Weitere Anwendung fand es in der Zündhölzerindustrie.

Doch die Werkleitung wurde in den folgenden Jahren durch den Mangel an Material und Betriebsmittel immer wieder vor Herausforderungen gestellt. So konnte die Produktion oft nur mit viel Mühe und Improvisation am Laufen gehalten werden.

Anfang 1916 konnte beispielsweise kein Spezialgummi geliefert werden. Doch hochwertiger Hartgummi war für die Funktion der Wildermann-Zellen unabdingbar, um die Metallteile vor den aggressiven elektrolytischen Erzeugnissen wie Chlor zu schützen. Diese Gummiqualität war in Europa jedoch nicht mehr erhältlich. Deshalb wurde das Material durch das als Handelsschiff dienende U-Boot „Deutschland“ aus den Vereinigten Staaten herangeschafft. Dadurch konnten sogar im Mai 1916 weitere 40 Zellen zugeschaltet werden. Der äußerst strenge Winter 1916/1917 führte zudem zu Transportproblemen und machte eine geordnete Produktion immer komplizierter.

Trotz der schwierigen Lage wurde in dieser Zeit das erste werkseigene Boot angeschafft und nach dem Vornamen der Frau des Werksleiters Königsberg „Elisabeth“ getauft.Das Boot diente als Fähre und holte morgens die Mitarbeiter, die im Raum Bonn/Wesseling wohnten, nach Lülsdorf. Nach Feierabend brachte es sie wieder zurück. Die Fähre konnte auch von Familienangehörigen der Arbeiter kostenlos genutzt  werden und fuhr auch zwischendurch hin und her. Der erste Bootsführer war der bei den Mitarbeitern der sehr beliebte Johann Caspers aus Mondorf. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte das Werk im Geschäftsjahr 1918/19 einen beachtlichen Stromverbrauch von 20,7 Millionen Kilowattstunden. Wenig später plante der Aufsichtsrat die Umrüstung der Elektrolyse auf das ertragreichere Siemens-Billiter-Verfahren, ehe das Werk Lülsdorf im Oktober 1920 aufgelöst und als Teil der Rheinischen Elektrowerke Cöln an die 1917 von Stinnes gegründete Koholyt-Aktiengesellschaft angegliedert wurde. Koholyt bedeutet, dass in diesem Unternehmen Kohle-, Holzverarbeitungs- und elektrolytische Verfahren zusammengeschlossen waren. Das Werk führte nun den Namen „Koholyt AG -Elektrochemische Fabrik Lülsdorf“.

 

Zitat
Erinnerungen des Elektromeisters „Soldaten der Luftschiffbataillone holten täglich den anfallenden Wasserstoff in Flaschen und Spezialkesselwagen ab. Er diente zur Füllung der Zeppeline und anderer Ballons. Es hieß, die Zeppelinhalle in Spich wäre wegen diesem Wasserstoff nach dort gelegt worden. Wir Koloniebewohner sahen abends bei anbrechender Dunkelheit die Zeppeline von Spich aufsteigen mit Kurs auf England zu und morgens in aller Frühe kehrten sie wieder um, manchmal sehr beschädigt. 
Viele kamen nicht mehr zurück.“


Erinnerungen des Elektromeisters
Josef Winter

 

Mehr über: Das Siemens-Billiter-Verfahren

Eine spezielle, von Professor Jean Billiter 1906 erfundene poröse Zwischenwand führte in enger Zusammenarbeit mit Siemens 1907/1908 zum Bau einer zufriedenstellend arbeitenden Zelle. Gegenüber der Wildermann-Zelle hatte sie einige wesentliche Vorteile: einfache Konstruktion, weniger Reparaturaufwand, geringere Lohnkosten, geringerer Stromverbrauch und höhere Stromausbeute. Nachteilig waren der höhere Salzgehalt sowie die niedrigere Laugen-Konzentration. Aufgrund der Verfahrensumstellung mussten die Nebenanlagen Salz-Lösestation, Laugen-Eindampfung und Einschmelzung vergrößert bzw. erneuert werden.