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Bakterielle Tenside spülen Geschirr

Rhamnolipide können den Markt der Kosmetika und Spülmittel verändern. Diese Substanzen – hergestellt von Bakterien – sind hautfreundlich, spülaktiv und sehr umweltverträglich. Diese Innovation eines Essener Spezialchemieunternehmens bewährt sich inzwischen in einem Handspülmittel eines niederländischen Konsumgüterkonzerns.

Hans Henning Wenk, Leiter der Forschung und Entwicklung im Geschäftsgebiet Care Solutions von Evonik

Wer sie erfunden hat, verbirgt sich im Dunkel der Geschichte: Seife. Das Alte Testament hat sie erwähnt, die Sumerer nutzten sie und die Araber brachten sie im 7. Jahrhundert nach Europa.

Rund 1300 Jahre später haben wir bei Evonik eine Technologie entwickelt, die das Potenzial hat, die Herstellung von Seife, genauer gesagt, von Tensiden als wichtigstem Bestandteil etwa von Wasch- und Reinigungsmitteln grundlegend zu verändern.

Die Idee: Wir lassen die Tenside in einem neuartigen Verfahren von Bakterien herstellen. Dies schont nicht nur natürliche Ressourcen und ist umweltfreundlich; ein auf Basis dieser Bio-Tenside hergestelltes Geschirrspülmittel ist auch in seiner Leistungsfähigkeit auf Augenhöhe mit den Besten am Markt.

Die Leistungsfähigkeit eines Spülmittels misst sich an der „Mileage“. Der Ausdruck stammt aus der Automobilindustrie und beschreibt, wie weit ein Fahrzeug mit einer bestimmten Menge Treibstoff kommt.

Im Labor bezieht sich die Mileage auf die Menge Geschirr, die die Tester spülen können, bevor der Schaum auf dem Spülwasser verschwunden ist. Das ist wichtig, denn je früher der Schaum zusammenbricht, desto eher wechselt der Konsument das Spülwasser, denn am Schaum liest der Verbraucher ab, ob das Spülwasser noch Fett und Schmutz ablösen kann. Das bedeutet zusätzlichen Verbrauch von Wasser, Energie und Spülmittel.

Verantwortlich für den Schaum sind Tenside. Sie machen je nach Marke und Typ zwischen fünf Prozent bei Standard-Spülmitteln und 30 Prozent bei Konzentraten aus. Sie sind bestimmend für Effizienz und Umweltfreundlichkeit. Wirkungsvolle Tenside sind somit ein wichtiger Faktor für den Verkaufserfolg eines Reinigungsmittels. Bert Nijhuis von Unilever erklärt dies so: „Wenn wir Nachhaltigkeit zu einem festen Bestandteil unseres Alltags machen wollen, müssen umweltverträgliche Produkte die gleiche Leistung liefern wie konventionelle – oder sogar eine bessere.“ Das hält Nijhuis, der beim Konsumgüterkonzern Unilever von Rotterdam aus die Forschung und Entwicklung für die Hand­ und Maschinengeschirrspülmittel leitet, für das Rezept für den Markterfolg.

Doch Konsumenten haben neben der Leistung eines Produktes inzwischen auch andere Schwerpunkte. Die Menschen machten sich zunehmend Gedanken darüber, dass ihre Reinigungsprodukte möglicherweise einen negativen Einfluss auf die Umwelt haben.“, so Nijhuis. „Deshalb machen wir unsere leistungsfähigen Produkte zusätzlich umweltfreundlich und hautfreundlich.“

Ein Tensid, das die Aspekte Leistung, Hautfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit gleich gut abdeckt, gab es bisher nicht. Bis jetzt. Die von uns entwickelten Biotenside sind ein bahnbrechender Schritt in der Haushaltsreinigung.

Grundlegendes zu Tensiden

Tenside arbeiten nach einem simplen Prinzip: Sie haben ein Ende, das Wasser „liebt“, und eines, das sich mit Fett verbindet. So sorgen sie dafür, dass der gelöste Schmutz nicht wieder am Geschirr landet. Das neue Biotensid basiert auf sogenannten Rhamnolipiden. Sie bestehen aus einem wasserunlöslichen Lipidteil und einem wasserlöslichen Teil, der aus dem Einfachzucker Rhamnose aufgebaut ist. Diese Rhamnolipide bauen sich ganz natürlich – egal ob aerob oder anaerob – zu 100 Prozent zu natürlichen Stoffen ab. Dadurch, und das ist der wichtigste Aspekt, sind sie im Vergleich zu anderen Tensiden entscheidend verträglicher für Wasserorganismen.

Vom Bodenbakterium

Ausgangspunkt für den Saubermacher ist ein Bakterium, das sich bevorzugt im Dreck aufhält: Pseudomonas aeruginosa. Es lebt im Boden und ernährt sich dort unter anderem von Fetten. Der schlesische Botaniker Walter Migula hat diese Bakterien im Jahr 1900 erstmals beschrieben.

Doch es blieb für eine biotechnologische Nutzung lange Zeit unbeachtet. Ein Grund ist, dass es als krankheitserregend eingestuft wird, das heißt, es kann unter ungünstigen Bedingungen potenziell Krankheiten wie Lungenentzündungen verursachen.

In den 1960er Jahren fanden Wissenschaftler jedoch heraus, dass das Bakterium diese Rhamnolipide herstellt, wenn auch nur in geringen Mengen. Die Idee, die reinigenden Eigenschaften dieser Lipide zu nutzen, blieb daher zunächst eine Vision. Erst als es im Jahr 2000 gelang, das Genom des Bakteriums zu entschlüsseln, griffen Forscher diese Idee erneut auf.

Der Ursprung der Seifen war eine Mischung aus Pflanzenasche und Ölen. Die Sumerer erkannten vor rund 5000 Jahren, dass damit behandelte Wunden besser heilten, der reinigende Effekt spielte zunächst keine Rolle, dies machten sich erst die Römer zunutze. Doch auch die Germanen hatten schon ihre eigenen Seifen. Die Araber verkochten dann im 7. Jahrhundert Laugen und Öle und erfanden so das, was wir heute als Seife kennen. Doch Seifen kommen mit härterem Wasser nicht zurecht und so traten in der industriellen Zeit synthetische Tenside auf Basis petrochemischer Rohstoffe an ihre Stelle.

Doch die erste Generation dieser Produkte sorgte dafür, dass sich auf Abwässern und in Flüssen Schaumberge bildeten. Die Tenside wurden in der Wasseraufbereitung nicht abgebaut, gelangten in die Umwelt und schädigten Organismen.

In Folge wurde vorgeschrieben, dass sich Tenside in Kläranlagen innerhalb von vier Wochen zu mindestens 70 Prozent abbauen lassen. Doch mit steigendem Umweltbewusstsein verlangten Verbraucher mehr und wollten Öko-Spülmittel.

Anfangs haben Verbraucher akzeptiert, dass umweltfreundliche Produkte weniger leistungsfähig waren als der Standard, aber diese Zeiten sind vorbei. Dies bestätigt Bert Nijhuis aus Sicht des global agierenden Konsumgüterkonzerns Unilever: „Egal welches Produkt wir irgendwo auf der Welt auf den Markt bringen, es muss Leistung zeigen – und Leistung bedeutet bei einem Geschirrspülmittel vor allem, dass es sauber macht.“

So startete 2008 ein Evonik-Forschungsteam ein Projekt zur Entwicklung einer neuen Generation von Tensiden für Reinigungs­ und Pflegeprodukte. Wir entschieden uns für Rhamnolipide, da bereits absehbar war, dass sie ausgezeichnet schäumen und besonders gut biologisch abbaubar sind. Im weiteren Verlauf konnten wir zeigen, dass sie auch Schmutz genauso zuverlässig entfernen wie synthetische Tenside, sich aber darüber hinaus auch durch exzellente Hautfreundlichkeit auszeichnen.

Meine Kollegen und ich machten uns auf die Suche nach einem alternativen Bakterium, das Rhamnolipide ohne Gesundheitsrisiko herstellen kann und eine hohe Ausbeute ermöglicht. Zugleich sollten pflanzenbasierte Zuckerarten als einziger Rohstoff dienen, denn sie sind global fast überall aus regionalen Quellen erhältlich, die nicht mit sensiblen Ökosystemen konkurrieren. Das war im Hinblick auf den finanziellen und zeitlichen Aufwand natürlich eine Wette auf die Zukunft.

Bakterien als Produzenten

Für die Produktion wählten wir ein Bakterium, das als anerkannter Sicherheitsstamm bereits für vielfältige industrielle Anwendungen genutzt wird. Diesem Stamm wurde dann die Bauanleitung für die Herstellung von Rhamnolipiden einprogrammiert. Schritt für Schritt gelang es uns, die Leistungsfähigkeit der Bakterien so zu erhöhen, dass eine kommerzielle Nutzung der produzierten Rhamnolipide möglich erschien.

Durchbruch in der Slowakei

Auch bei Unilever begann die Erforschung von Reinigungsmitteln auf Basis von Rhamnolipiden bereits früh. Aus der Geschäftsbeziehung zu Evonik ergab sich 2015 ein gemeinsames Entwicklungsprojekt, das mit der Verfügbarkeit größerer Produktmengen aus unseren Entwicklungsaktivitäten schnell Fahrt aufnahm. Unilevers Forschungs­ und Entwicklungsteam war zwar mit Rhamnolipiden seit Jahren vertraut, erklärte Peter Ter Kulve, Präsident des in London beheimateten Home­Care­Geschäfts von Unilever, im Jahr 2019 bei der Vorstellung der Kooperation, „allerdings waren Technologie und Wissenschaft noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem eine industrielle Produktion möglich gewesen wäre“.

Hier brachte Evonik die jahrzehntelange Erfahrung mit industriellen Fermentationsprozessen ein. Im slowakischen Werk in Slovenská Ľupča, gelang 2016 der Durchbruch bei der Produktion von Rhamnolipiden im großen Maßstab.

Als größte Hürde stellte sich ausgerechnet das heraus, was Konsumenten am Spülmittel besonders schätzen: der Schaum. Bei der Produktion soll das Produkt nämlich möglichst nicht schäumen.

Als Rohstoff wird in den Fermentern in Slovenská Ľupča simpler Traubenzucker genutzt. Die Umsetzung dieses Zuckers zu Rhamnolipiden erledigt der Bakterienstamm im Fermenter energieschonend bei Zimmertemperatur. Im Gegensatz zu vielen synthetisch hergestellten Tensiden sind hier weder hohe Temperaturen noch gefährliche Stoffe zur Herstellung notwendig.

Bevor die Rhamnolipide zur Herstellung von Kosmetikprodukten und Reinigungsmitteln verwendet werden können, müssen sie noch aufgearbeitet und konzentriert werden. Das dient einerseits der restlosen Entfernung der zur Herstellung verwendeten Mikroorganismen, andererseits aber auch zur Erzielung der hohen Qualitätsanforderungen zum Beispiel an Farbe und Geruch des Produktes. Zudem wird durch die Aufkonzentrierung Energie bei Transport und Verarbeitung gespart.

Von Kosmetik zum Spülmittel

Zunächst setzten wir Rhamnolipide aus der Slowakei im Bereich der Körperpflegemittel ein. Mit Rheance One brachte Evonik ein Produkt auf den Markt für Pflegeprodukte, das Innovationspreise gewann und vom Markt sehr gut angenommen wird.

Unilever hatte einen anderen Markt im Blick: Handgeschirrspülmittel. Ein besonderes Augenmerk legt der Konzern auf die Nachhaltigkeit seiner Produkte und die Situation in Schwellenländern. Dort steigt das Bedürfnis nach Hygiene und Sauberkeit, zugleich haben nur wenige Haushalte eine Spülmaschine. Handspülmittel sind daher stark gefragt. Hinzu kommt: Abwasser wird oft weniger intensiv aufbereitet als in Industrieländern. Ein vollständig abbaubarer Inhaltsstoff ist daher von besonderem Vorteil.

Für die Markteinführung entschieden sich die Experten von Unilever für Chile und die dort sehr populäre Marke Quix. Wichtigstes Verkaufsargument war die Umweltverträglichkeit, auf die Chilenen bei Kaufentscheidungen großen Wert legen.

Unilever wertet die Markteinführung als so großen Erfolg, dass der Konzern seine Zusammenarbeit mit Evonik nun weiter intensivieren möchte. Das Unternehmen sieht in der Zusammenarbeit mit Evonik einen der zentralen Pfeiler seiner „Clean Future“-Initiative, die auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen und Kreislaufwirtschaft die Verwendung petrochemischer Rohstoffe in der Division Home Care bis 2030 obsolet machen soll.

Eine Entwicklung, die auch zur Strategie von Evonik passt, auf Nachhaltigkeit als Wachstumstreiber zu setzen. Wir werden unser Portfolio an biotechnologisch gewonnenen Inhaltsstoffen weiter ausbauen, um unsere Position als führender Anbieter nachhaltiger Lösungen, die Kunden und Endverbraucher begeistern, weiter zu stärken. Für uns ist die Geschichte der Seife noch lange nicht zu Ende erzählt.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Umweltmagazin (Ausgabe 10-11, 2020) veröffentlicht